Vor 15 Jahren nahm sich Robert Enke das Leben. Der ehemalige deutsche Nationaltorwart hatte den langen Kampf gegen seine Depressionen verloren. Er hinterließ seine Adoptivtochter Leila und seine Frau Teresa. Diese gründete nach seinem Tod eine Stiftung und sorgt bis heute dafür, dass das Thema Depression enttabuisiert wird. Wir sprechen mit ihr über die Veränderungen seit Robert Enkes Tod, die Gefühlswelt von Teresa während Roberts Krankheit und über die Arbeit der Robert Enke Stiftung.
Das Interview führte Tobias Hügerich.
FCPF: Es ist jetzt auf den Tag genau 15 Jahre her, dass sich Robert Enke das Leben genommen hat. Damals ging ein großer Ruck durch (Fußball-) Deutschland und es wurden einige Dinge in Frage gestellt. Beispielsweise kritisierten Teile der Branche die Berichterstattung über mentale Probleme im Leistungssport. Außerdem wurde argumentiert, dass generell ein größeres Bewusstsein für psychische Krankheiten in der Gesellschaft und vor allem im Leistungssport geschaffen werden müsse. Was ist seitdem passiert?
Teresa: Ich glaube, dass damals viele Dinge vermischt wurden. Das eigentliche Problem, nämlich die Depression, wurde mit dem Fußballgeschäft in Verbindung gebracht. Beispielsweise wurden hier der Konkurrenzkampf, die Fans und die Härte des Geschäfts als Auslöser genannt. Theo Zwanziger (damals DFB-Präsident, Anm. d. Red.) hat in seiner Trauerrede auf der Beerdigung von Robert mehr Menschlichkeit eingefordert. Aber das ist nicht das Ziel unserer Stiftung. Es ist auch nicht das Ziel, die Menschen in der Hinsicht zu verändern, dass sie respektvoller miteinander umgehen. Vielmehr wollen wir erreichen, dass die Menschen, bzw. die Sportler*innen, die eine Depression bekommen einen Rückhalt und Anlaufstellen haben. Außerdem wollen wir die Vereine sensibilisieren. Unser Ziel ist es, dass mehr auf die Jugendspieler in den Nachwuchsleistungszentren und auf die Profis geachtet wird. Hier sind das Hinzuziehen von Psycholog*innen oder das Vorhandensein von Workshops und anderer Aufklärungsarbeit zu nennen. Aber den Fußball wollten und werden wir nie verändern. Da ist viel zu viel Geld und Macht im Spiel. Und das gehört auch irgendwie dazu. Eine Auseinandersetzung mit dem Thema sollte allerdings nicht nur im Fußballgeschäft, sondern auch in allen anderen Betrieben passieren. Das Thema sollte einfach mehr en vogue sein. Es reicht oft schon, wenn ein Bewusstsein dafür da ist und wenn man bei Schwierigkeiten eine Anlaufstelle hat.
FCPF: In den letzten Jahren ist die Zahl derjenigen Leistungssportler*innen, die sich in der Öffentlichkeit zu psychischen Problemen geäußert haben, glücklicherweise gestiegen. Dennoch kann das, rein statistisch gesehen, nur ein Bruchteil der Betroffenen sein. Woran liegt es Deiner Meinung nach, dass das Thema mentale Gesundheit gerade im Leistungssport noch tabuisiert ist?
Teresa: Ich habe aktuell das Gefühl, dass kaum eine Woche vergeht, in der sich keine prominente Person, sei es ein*e Sportler*in, ein*e Musiker*in, ein*e Schauspieler*in oder eine andere Person des öffentlichen Lebens von Depression oder von behandelten Depression erzählt. Ich glaube, dass viele während der aktiven Karriere noch Bedenken haben und einige Betroffene erst nach der Laufbahn damit an die Öffentlichkeit gehen. Auch das hilft schon. Wir haben schon sehr viel erreicht. Die Journalist*innen berichten über das Thema mittlerweile sorgsam und ohne Aufregung. Außerdem besteht ein größeres Wissen über die Krankheit. Dadurch, dass so viele bekannte Persönlichkeiten in den letzten Jahren mit dem Thema an die Öffentlichkeit gegangen sind, ist ein Bewusstsein in der Gesellschaft für die Häufigkeit der Krankheit entstanden. Es reicht auch, wenn man nach der Karriere sagt, dass man betroffen ist oder war. Mit anderen Krankheiten geht man ja auch nicht gerne hausieren.
Ich würde sagen, es fehlen noch 30%, bis die Depression wirklich auf dem gleichen Stand ist wie beispielsweise ein Meniskusriss. Aber wenn die Krankheit mit dem Meniskusriss gleichgesetzt wird, ist wichtig, dass Betroffene von Depression nach dem Comeback genauso leisten müssen wie diejenigen, die von einem Meniskusriss zurückkommen. Damit will ich sagen, dass psychisch Erkrankte genauso wie andere Verletzte oder Kranke behandelt werden sollten. Und wenn jemand während seiner Vertragslaufzeit mehrmals an Depression erkrankt ist und ein Verein sich dazu entscheidet, den Vertrag nicht zu verlängern, hat das nichts mit fehlender Menschlichkeit zu tun. Denn wenn ein*e Spieler*in sich während der Vertragslaufzeit mehrmals den Meniskus reißt, wird der Vertrag möglicherweise auch nicht verlängert. Jemand, der krank ist, sollte sich behandeln lassen, um danach wieder leistungsfähig zu sein.
FCPF: Du hast gesagt, dass noch 30% fehlen, bis Depression auf dem gleichen Stand ist wie beispielsweise ein Meniskusriss. Was genau macht diese 30% aus und was die 70%, die schon erreicht wurden?
Teresa: Die 70%, die vorhanden sind, beziehe ich darauf, dass in der Öffentlichkeit kein Fass aufgemacht wird, wenn ein*e Prominente*r von selbst erlittenen Depressionen berichtet. Natürlich findet dazu eine Berichterstattung statt, aber es werden keine reißerischen Geschichten produziert. Es wird einfach normal darüber berichtet. Die 30% beziehe ich darauf, dass Sportler*innen, die sich während ihrer aktiven Karriere einer Behandlung unterziehen, noch dafür schämen, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Aber in den Vereinen gibt es Hilfsangebote, Psycholog*innen, Psychiater*innen und Raum für die interne Thematisierung solcher Krankheiten. Die Trainier*innen und Betreuer*innen befassen sich mit dem Thema und beim Aufkommen von psychischen Erkrankungen stehen die Verantwortlichen nicht vor vollendeten Tatsachen. Natürlich ist das Thema bei Fans ein gefundenes Fressen. Deswegen bin ich auch der Meinung, dass nach der Karriere ein guter Zeitraum zur Veröffentlichung der Krankheit ist. Irgendwann wird sich das auch verändern und dann wird auch der Letzte begriffen haben, dass Depression eine Krankheit und keine Schwäche ist. Und dann kann auch jede*r offen damit umgehen.
FCPF: Wir haben schon ein wenig über prominente Personen gesprochen. Wie empfindest Du den Umgang mit Depression in der Promiwelt?
Teresa: Einerseits erinnere ich mich hier an eine blöde Aussage von Boris Becker. Der hat über eine Tennisspielerin, die mit Depression an die Öffentlichkeit gegangen ist (Naomi Osaka, d. Red.) sinngemäß gesagt, dass es ihr nicht schlecht gehen dürfe, weil sie ja genügend Geld habe. Da habe ich mir auch gedacht, dass er seinen Kopf ein bisschen mehr einschalten soll. Andererseits finde ich die Unterstützung von Prominenten, die sich diesem Thema annehmen und dafür sorgen, dass Aufklärungsarbeit geleistet wird, großartig. Immer wieder an die Öffentlichkeit zu gehen, immer wieder über das Thema zu berichten und immer wieder den Menschen klarzumachen, dass es sich dabei um eine Krankheit handelt, ist genau der richtige Weg. Man muss einfach verstehen, dass Depression jede*n unabhängig von Reichtum, Erfolg und Glückseligkeit treffen kann. Die Krankheit kommt teilweise aus dem Nichts. Natürlich gibt es auch auslösende Faktoren. Aber man kann nicht steuern, wann die Krankheit zuschlägt. Und prominente Beispiele helfen eben dabei der Gesellschaft verständlich zu machen, dass man auch von Depression betroffen sein kann, wenn man reich und erfolgreich ist.
Früher war natürlich Robert die Person, mit der man Depression in Verbindung gebracht hat. Aber man muss auch sagen, dass seitdem 15 Jahre vergangen sind und die Zeit kommen wird, in der die Menschen wahrscheinlich nicht mehr so genau wissen, wer Robert Enke war. Deswegen haben wir zum Beispiel auch unser Logo verändert. Viele können mit dem Gesicht von Robert und Lara (Tochter von Teresa und Robert Enke, die mit nur zwei Jahren verstarb, d. Red.) nichts mehr anfangen. Wir wollten ein Logo schaffen, das mit der Zeit geht. Das ist auf der einen Seite sehr hart für die Menschen, die von Anfang an dabei waren und natürlich für mich als Ehefrau. Weil Robert nicht mehr so omnipräsent ist, brauchen wir aktuelle Sportler*innen oder Prominente, die mit dem Thema an die Öffentlichkeit gehen.
FCPF: Ich unterstelle jetzt einmal, dass das Thema Aufklärungsarbeit zu psychischen Erkrankungen nicht nur im Leistungssport, sondern auch im Rest der Gesellschaft zu kurz kommt. Vielleicht einmal allgemein gefragt: Was ist Depression und mit welcher Krankheit ist Depression eventuell vergleichbar?
Teresa: Manche Menschen sind mehr und manche weniger anfällig für Depression. Wenn jemand eine Prädisposition für diese Krankheit hat, braucht es wenige Auslöser. Gleichzeitig können hier beispielsweise traumatische Erfahrungen wie Verlust oder Gewalt eine Rolle spielen und eine Depression oder z.B. auch eine Angststörung auslösen. Kein Mensch ist davon befreit, eine Depression zu bekommen.
Auch Robert hat bei seiner letzten Depression, die ihn getötet hat, nicht verstanden, warum diese ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt aufgetreten ist. Vorher hatte er immer einen vermeintlichen Auslöser wie zum Beispiel eine schlechte sportliche Situation oder einen Ortswechsel. Aber zum Zeitpunkt seiner letzten Depression ist nichts Besonderes vorgefallen. Er hatte endlich den Konkurrenzkampf gegen Rene Adler um die Nummer 1 in der Nationalmannschaft gewonnen und wir hatten Leila adoptiert. Wir sind in unser geliebtes Portugal geflogen und auf einmal hat sich die Krankheit angeschlichen.
Man kann nicht in den Kopf von Betroffenen reinsehen. Ich sage immer, dass es wie Kopfkrebs sein muss. Die Depression frisst sich durch den Kopf und man kann mit Medikamenten und anderen Behandlungsformen etwas dagegen machen. Aber, wie bei Krebs auch, gibt es Formen, die tödlich sind. Robert hat immer auf seine Art gesagt: „Das ist der Robb mit dem kaputten Kopp.“ So kann man es natürlich auch sagen. (lacht)
FCPF: Es gibt nicht „die eine Depression“, sondern ganz verschiedene Verläufe. Dennoch gibt es ein paar Symptome, die typisch für Depression sind. Welche?
Teresa: Ich glaube erst einmal sollte gesagt werden, dass jede Person einmal einen schlechten Tag hat. Da wacht man morgens auf, das Wetter ist schlecht und man hat gar keine Lust aufzustehen. Das kann auch mal zwei oder drei Tage so gehen. Wenn die Symptome anhalten und man sich immer schlapp fühlt, man wenig bis keine Lebensfreude mehr hat und das Ganze länger als zwei Wochen anhält, sollte man eine*n Ärzt*in aufsuchen. Dann kann man sich beraten lassen und bekommt Hilfe.
FCPF: Und wie kann man unabhängig von professionellen Personen feststellen, dass es sich eben nicht nur um schlechte Laune, sondern um eine Krankheit handelt?
Teresa: Wenn man sich zum Beispiel am Samstag immer zum Tennis verabredet und eine Person seit drei Wochen eine Ausrede hat, dann muss man als Umfeld hellhörig werden. Und bei sich selbst merkt man es, wenn Dinge, die früher Spaß gemacht haben plötzlich gar keinen Spaß mehr machen und alles zu anstrengend ist. Dann sollte man sich Gedanken machen, wie und wo man sich Hilfe holen könnte. Außerdem sollte man so schnell wie möglich Freund*innen oder Familie einweihen.
FCPF: Manchen Leuten sieht man vielleicht auch gar nicht an, dass sie Depression haben. Man hat bei Depression oft eine Person im Kopf, die sich alleine zu Hause einschließt oder die ganze Zeit traurig durch die Gegend läuft. Aber so ist es nicht, oder?
Teresa: Es muss nicht so sein. Es gibt eine leichte, eine mittelschwere und eine schwere Depression. In der schweren Depression ist es so, dass die betroffene Person eigentlich nicht mehr aufstehen kann, versteinert schaut und verlangsamt in der Ausstrahlung und in der Wahrnehmung ist. Die Person ist einfach schwer lebensfähig. Man ist dann wie gelähmt. So war es bei Robert auch. Er war schon damit überfordert sich anzuziehen oder aufzustehen. Aufgrund der äußeren Erwartungshaltungen gab es Situationen, in denen er das dann trotzdem hinbekommen musste. In diesen Situationen musste er dann natürlich mit Psychopharmaka nachhelfen. Die haben ihn auch ein bisschen von seiner Angststörung befreit. In einer mittleren oder leichten Episode kann man auch für eine Zeit schauspielern und die Krankheit öffentlich verstecken. In Gesprächen mit Psycholog*innen wurde auch klar, dass Robert da eigentlich Übermenschliches geleistet hat. In dieser schweren Depression mit Angstzuständen auf dem Platz zu stehen war eine unglaubliche Leistung.
FCPF: Wie war es für Dich? Lernt man mit der Zeit, wie man mit einer depressiven Person umgeht? Und wie hast Du Dich dabei gefühlt?
Teresa: Es ist wirklich hart. Bei Partner*innen ist es noch einmal etwas anderes. Dann ist zwar die Person körperlich anwesend, aber geistig nicht so richtig. Man muss lernen damit umzugehen, dass eine Person keine Gefühle zeigen kann. Beispielsweise kommst Du nach Hause, hast eigentlich gute Laune und willst etwas unternehmen. Aber dein*e Partner*in hat ganz andere Sorgen. Allerdings ist es schwer, sich das als nicht betroffene Person vorzustellen und man fordert Dinge ein, die für die betroffene Person unfassbar schwer sind, wie beispielsweise nur aufzustehen. Aber eine Person mit Gips am Bein würde man ja auch nicht dazu auffordern endlich einmal aufzustehen. Ich glaube man muss sich einfach versinnbildlichen, dass die Krankheit etwas mit dem Umfeld macht. Es ist nicht so einfach, neben einer schwer kranken Person zu leben. Genauso wäre es auch, wenn der/die Partner*in Krebs hätte.
In diesen kleinen Momenten, in denen man denkt, dass es wieder gut ist, hofft man nur: Bitte lass es nicht vorbeigehen! Wir waren 14 Jahre zusammen und in dieser Zeit hatten wir drei Depressionen. Den Rest der Zeit war die Krankheit nicht sichtbar. Trotzdem habe ich dann, als ich verstanden habe, dass Robi eine Disposition hat, wenn er beispielsweise den Kopf schief auf die Schulter gelegt hat, gefragt: „Robi, alles gut?“ Und das waren für mich Trigger, bei denen ich Angst bekommen habe, dass es noch schlimmer wird. Als er noch gelebt hat, habe ich mir immer versucht zu sagen, dass es auch wieder vorbeigeht. Wir haben ja auch die anderen Depressionen durchgestanden. Ich hatte meinen Sport und meine Tiere, mit denen ich mit ablenken konnte. Das heißt, ich habe auch Dinge für mich gemacht. Als Leila dann da war, hatte ich auch nicht mehr so viel Zeit dafür. Es ist nicht schön, aber es ist eben wie bei jeder Krankheit. Krankenpflege ist nie schön. Wenn man liebt, macht man sich immer Sorgen. Und das ist eigentlich das Schlimme. Nicht, dass man durch die Krankenpflege noch mehr leisten muss. Aber die Sorgen, die man hat.
FCPF: Und was ist die beste Methode, wenn man es schafft damit klarzukommen und sich selbst nicht zu vergessen. Zuhören und Empathie zeigen oder die Person auch mal aus dem Bett ziehen? Oder ist das einfach situationsabhängig und unterschiedlich?
Teresa: Es ist unterschiedlich. Es gab Phasen, in denen er mir auch leidgetan hat. Einmal lag er in seiner Dunkelkammer. So haben wir das immer genannt. Und dann hat das Baby geschrien und ich war gestresst. Dann habe ich gegen das Bett getreten und gesagt: „Steh doch endlich auf! Das gibt es doch nicht!“ Dann ist er auch aufgestanden. Und danach hat es mir schon wieder leidgetan, weil ich mir dachte: „Oh Gott! Was hast du getan!?“ Aber es gab auch Momente, in denen ich ihn dazu überredet habe aufzustehen. Dann sind wir im Wald spazieren gegangen und er hat mir danach gesagt, dass es total gutgetan hat.
FCPF: Wie war es in der Endphase bei Robert?
Teresa: Am Schluss war es sehr schwer. Da hat er gesagt: „Ich kann nicht. Lass mich in Ruhe.“ Aber als Umfeld sollte man schon dranbleiben. Man kennt das ja auch von sich selbst. Wenn ich zum Beispiel keine Lust habe, Papierkram zu machen und es dann trotzdem erledige, fühle ich mich danach auch besser. Aber das sieht die depressive Person nicht. Wenn man die Person ein bisschen drängt, kann man dafür sorgen, dass es dem betroffenen Menschen etwas besser geht. Gleichzeitig muss man da auch wieder das Mittelmaß finden. Nicht zu viel Druck machen, aber leichten Druck. Am Schluss hatte ich keine Chance mehr, irgendwie einzugreifen.
FCPF: Wir haben das Thema Behandlungsmöglichkeiten schon kurz angeschnitten. Klar, es gibt Medikamente. Außerdem besteht die Möglichkeit, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Welche?
Teresa: Ich glaube, es ist auch wichtig, sich erst einmal dem/der Hausärzt*in zu öffnen. Dann kann diese*r leichte Antidepressiva verschreiben, bis vielleicht ein Therapieplatz ergattert werden kann. Wenn man dann einen Platz hat, hilft in erster Linie eine Gesprächsbehandlung. Man geht zum/zur Psycholog*in und arbeitet Themen tiefenpsychologisch oder verhaltenstherapeutisch auf. Wenn man dann gut zurechtkommt, bedarf es auch keiner medikamentösen Behandlung. Diese könnte ohnehin nur durch eine*n Psychiater*in oder durch den/die Hausärzt*in verschrieben werden. Deswegen ist ein*e Psychiater*in auch der/die richtige Ansprechpartner*in bei einer schweren Depression. Dort kommt neben den Medikamenten auch die Gesprächstherapie hinzu. Außerdem gibt es Tageskliniken und stationäre Kliniken. Das Problem ist nur, dass es keine Therapieplätze gibt. Gerade für gesetzlich Krankenversicherte ist das eine Katastrophe. Mittlerweile gibt es aber auch Onlineangebote, die man wahrnehmen kann. Des Weiteren kann man sich Selbsthilfegruppen suchen. Das gilt im Übrigen nicht nur für die betroffene Person selbst, sondern auch für Angehörige.
FCPF: Wenn man dann einen Therapieplatz hat beginnt ja eigentlich erst die richtige Arbeit. Man hört hier immer, es gehe darum Ressourcen aufzubauen. Was ist damit gemeint?
Teresa: Ich sage immer, dass es wichtig ist, die Ressourcen rauszuholen, die man hat. Man muss seine eigenen Stärken erkennen. Wichtig ist, dass man bevor man diese Ressourcen herausarbeiten will, die eigenen Probleme identifiziert. Es geht nicht darum, diese Dinge herauszuarbeiten um immer höher, schneller und weiter zu kommen. Bevor man diese Selbstoptimierung angeht, muss man erst einmal an den Sachen arbeiten, die Auslöser für gewisse Verhaltensweisen sind. Beispielsweise kann es sein, dass man in der Jugend schlechte Erfahrungen gemacht hat und deswegen jetzt gewisse Menschen oder Situationen meidet oder sich dort nicht so verhält, wie man es gerne möchte. Außerdem sollte man herausfinden, was einen triggert. Wenn man das herausgefunden hat, dann kann man auch an sich arbeiten und Dinge optimieren.
FCPF: Und wie sollte es dann nach der Therapie weitergehen?
Teresa: Für die Menschen, die in Therapie waren, ist es wichtig dranzubleiben. Das war auch Roberts Problem. Nach der Therapie ging es ihm sehr gut. Aber er hat vergessen weiterzumachen. Ich glaube, dass es gut gewesen wäre, wenn er einmal im Monat zur Therapie gegangen wäre und dort über die Dinge gesprochen hätte, die in dem Monat passiert sind. So wäre viel besser ersichtlich gewesen, ob irgendetwas aufgearbeitet werden muss. Man geht ja auch einfach mal zum/zur Hausärzt*in und lässt sich durchchecken. Und das muss man einfach auch auf die mentale Gesundheit übertragen. Hinzu kommt, dass mentale Gesundheit auch für physische Gesundheit wichtig ist.
FCPF: Hat man Depression ein Leben lang oder gehen die irgendwann einfach weg? In Roberts Fall hört es sich so an, als ob er gedacht hat, dass die Krankheit einfach weg ist.
Teresa: Manche bekommen eine Depression im Leben, manche bekommen sie öfter und es gibt auch wirklich schlimme Fälle, in denen Menschen nie aus der Depression herauskommen. Teilweise brauchen Personen auch ein Leben lang Hilfe. Ich habe alles schon gehört. Da spielt unter anderem auch die Genetik eine große Rolle. Robert hatte eine genetische Disposition, die dafür gesorgt hat, dass er an Depression erkrankt. Deswegen hätte er wahrscheinlich auch ein Leben lang immer wieder damit zu kämpfen gehabt. Ihm hätte der offenere Umgang in der Gesellschaft, den es inzwischen gibt, geholfen. Mittlerweile beschäftigt man sich auch einfach mehr mit mentaler Gesundheit. Wenn ich mir ansehe, wie aufgeklärt die Jugend schon ist, wenn es um die Begrifflichkeiten im Zusammenhang mit Depression oder psychischen Erkrankungen geht, dann ist das großartig.
FCPF: Und was ist mit dem Rest der Gesellschaft, der kein akutes psychisches Problem hat?
Teresa: Ich glaube es ist für alle Menschen wichtig, etwas für die mentale Gesundheit zu machen. Ich sage immer, man sollte mentale Hygiene betreiben. Wenn man selbst merkt, dass einem im Leben einfach alles zu viel wird und die Möglichkeit besteht, Sachen zu kürzen oder einen halben Tag einmal gar nichts zu machen, dann sollte man das auch einfach mal machen.
FCPF: Wir wollen noch ein bisschen über Eure Stiftung sprechen. Wie genau sieht Eure Arbeit aus?
Teresa: Unser Hauptziel ist die Entstigmatisierung und Enttabuisierung von psychischen Krankheiten; insbesondere der Depression. Das sind zwei große Worte, aber die stehen sinnbildlich für unsere Arbeit. Wir haben ein deutschlandweites Netzwerk geschaffen, dem sich viele Psycholog*innen und Psychiater*innen angeschlossen haben. Vor Corona konnten wir erreichen, dass man über uns einen Platz innerhalb von ungefähr einer Woche erhält. Dadurch, dass die Fälle rasant zugenommen haben, dauert es jetzt länger.
Darüber hinaus gehen wir zum Beispiel in Stadien und klären dort Fußballfans auf, damit dieses Thema immer im Fokus bleibt. Außerdem haben wir ein Projekt, bei dem wir versuchen einer nicht erkrankten Person mittels VR-Brille zu ermöglichen, in die Welt eines Depressiven einzutauchen. Das ist wichtig, um Sensibilität zu schaffen. Dann können die Leute, die nicht erkrankt sind, das Krankheitsbild vielleicht ein bisschen besser verstehen. Damit gehen wir jetzt beispielsweise auch in Schulen. Seit Corona mussten wir uns neu aufstellen. Vorher haben wir nicht mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet. Allerdings ist der Bedarf mittlerweile sehr groß geworden. Deswegen versuchen wir jetzt auch da ein Netzwerk aufzubauen. Weiterhin haben wir mit dem Zeitbild Verlag einen Ordner für alle Schulen in Deutschland erstellt, sodass auch Lehrer*innen mit ihren Schüler*innen zu diesem Thema arbeiten können. Wir haben Praxisordner für Eltern und Trainer*innen, in denen beschrieben wird, was eine Depression bedeutet und was gemacht werden kann, wenn man eine Depression erkannt hat.
Darüber hinaus gehen wir mit Ronald Reng und Martin Amedick in die Nachwuchsleistungszentren und in die Vereine. Diese erzählen dann über die Krankheit und über Robi und erklären den (Nachwuchs-)Spielern, was Depression ist. Martin Amedick war auch Fußballer und ist auch sehr schwer erkrankt. Ronald Reng war gut mit Robert befreundet und hat über Robert auch ein Buch geschrieben. (Titel: Robert Enke. Ein allzu kurzes Leben, d. Red.) Wir versuchen mit dem Thema einfach präsent zu sein.
FCPF: Wie war die Resonanz von Vereinen und Verbänden, als ihr Eure Arbeit zum Thema Depression begonnen habt?
Teresa: Nach Roberts Tod waren die Vereine und Verbände natürlich auch alle verunsichert. Es ging ein großer Ruck durch Deutschland und die Sportwelt. Plötzlich haben sich viele Menschen mit dem Thema befasst. Auch der DFB und die DFL waren gezwungen, etwas zu machen. Von Seiten des DFB war man glücklich, dass wir bereit waren, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen. Und auch die Vereine wollten etwas tun. Vor allem wollten sie verhindern, dass sie bei einem erneutem Vorfall unvorbereitet sind. Zu Beginn mussten wir uns auch erst einmal aufstellen. Wir hatten nicht viel Ahnung und waren auf uns allein gestellt. Ohne unsere starke Partner wie den DFB oder die DFL hätten wir eine derart große Reichweite auch nicht hinbekommen.
FCPF: Und bei den Fans und in den Schulen?
Teresa: Durchweg positiv. Ich habe noch nie erlebt, dass jemand unsere Arbeit nicht gut fand oder angezweifelt hat. Aber ich bekomme natürlich auch nicht alles mit. Mich persönlich freuen vor allem die Zuschriften, die ich bekomme. In diesen stehen beispielsweise Dinge wie: „Robert hat mir das Leben gerettet.“ Viele Menschen bedanken sich bei mir und sagen: „Es ist so toll, dass Du diese Arbeit immer noch machst und immer noch in der Öffentlichkeit über dieses Thema sprichst.“ Diese positive Resonanz, die Briefe und Zuschriften, die ich bekomme, teilweise auch von ehemaligen oder noch aktiven Spielern, ist großartig. Ich hätte nicht gedacht, dass nach 15 Jahren noch so ein großer Fokus auf dem Thema ist.
FCPF: Zum Glück! Vielen herzlichen Dank für dieses sehr besondere Interview und für die großartige Arbeit die Eure Stiftung und Du machen.
Teresa: Danke auch!
Bild: Robert Enke Stiftung