Die Kugel rollt wieder: Verrat am Fußball oder eine neue Hoffnung?

Die Bundesliga ist zurück. Die Kugel rollt nun auch im Revierderby wieder. Keine Entscheidung nach dem zweimonatigen Corona-Lockdown hat für solch kontroverse Diskussionen gesorgt, wie die Erlaubnis zur Wiederaufnahme des Spielbetriebs in den zwei Spielklassen der DFL. Als Mitglied des FC PlayFair! e.V. bin ich hin- und hergerissen, kann beiden Sichtweisen auf die Situation viel Richtiges abgewinnen. Eine Bestandsaufnahme.

Verrat am Fußball?!

Ohne Fans kein Fußball – die Vorstellung von Profifußball in menschenleeren Stadien ist zutiefst verstörend. Während die Gesellschaft noch mit den Corona-Einschränkungen kämpft, legt der Profifußball wieder los. Um es mit Karl-Heinz Rummenigges Worten zu sagen: „Es geht natürlich am Ende des Tages auch im Profifußball um Finanzen.“ Genau diesen Eindruck konnte die Liga in den vergangenen Monaten einfach nicht zerstreuen: Die Blase darf nicht platzen! Und damit nimmt man sich Freiheiten heraus, die andere Sportarten und andere Organisationen nicht haben. Im Amateursport, egal ob Fußball oder andere Sportarten, sind die meisten Ligen schon lange beendet.

Revierderby ohne Zuschauer? Nicht mehr als eine kleine Einnahme-Delle. Bei Sky spielen sie dann eben Stadionatmosphäre aus der Konserve ein. Wie die Lacher bei Alf und Al Bundy. Die Geisterspiele brechen TV-Rekorde bei den Einschaltquoten. Weitere Zusatzeinnahmen aus den exklusiven, internationalen Übertragungen sind möglich. Aktuell wird nur bei uns gekickt: Messi und Mo Salah schauen in die Röhre und erleben dabei neidvoll, wie Julian Brandt und Erling Haaland im leeren Stadion begeistern.

Distanzregeln und Mundschutz? Nur im Training. Im Spiel geht es wieder auf die Knochen und ins Rudel. Wer die Abstandsregeln im Strafraum einhält, liegt schnell zurück. Und die Spieler? Die wurden nicht gefragt, haben ja einen gültigen Arbeitsvertrag. Letzte Bedenken werden desinfiziert und weggewischt. Kostenlose Corona-Tests für die Mannschaften gibt es genug, da wird jedes Pflegeheim blass vor Neid und rot vor Wut.

Die Fans? Bleiben nicht nur brav daheim, ziehen nicht vors Stadion, sondern engagieren sich mit Herz und Verstand für die eingesperrte Gesellschaft und machen Besorgungen für Hilfsbedürftige.

Der Fußball ist kurz davor, seine Rolle als Integrationsmotor unserer Gesellschaft zu verlieren und vollends zu einem nimmersatten Kommerz-Monster zu degenerieren. Diese Lücke können auch die hilfsbereiten Fans aus den Kurven nicht schließen.                                                                                          

Eine neue Hoffnung?

Der Wiederanpfiff der Bundesliga ist das bisher stärkste Signal für die Rückkehr unserer Gesellschaft zur Normalität, nicht nur in Deutschland, sondern weit über unsere Grenzen hinaus. Aber die neue Normalität wird anders sein als die alte Normalität vor der Krise. Und hoffentlich besser. Dafür gibt es Gründe.

Erstens: Die Bedrohung durch das Virus und die vielen Opfer zeigen uns, wie verletzlich unsere Gesellschaft geworden ist. Darauf werden wir uns einstellen müssen, darauf müssen wir uns vorbereiten. Und der Fußball? Hat das Privileg des Neustarts genießen dürfen. Dafür ist er uns etwas schuldig: Als Labor und Testballon für unsere neue Normalität. Als Vorreiter für die Organisation von Konzerten, Volksfesten, Gastronomie, Unterricht und Vorlesungen, Kongressen und Messen. Probiert aus und experimentiert, lasst mal ein paar Leute ins Stadion, verändert die Regeln, sucht nach Lösungen. Pragmatisch und mutig, dennoch mit Vorsicht und Bedacht, so wie jetzt in der Liga. Und gebt eure Erkenntnisse und euer Wissen weiter an den ganzen Sport: An die Amateure und den Nachwuchs, an die Handballer, Hockeyspieler und Basketballer. Wie trainiert man auf Distanz? Wie arbeiten die Physios? Wie haltet ihr die Regeln ein? Wie reist ihr zum Spiel? Was raten euch die Ärzte? Wie duscht und feiert ihr nach dem Spiel? Gebt den anderen Sportarten etwas zurück.

Was noch? Das System Fußball hat gemerkt, vielleicht sogar verstanden, wie empfindlich die Blase ist, in der es lebt. Die leeren Stadien führen uns vor Augen, wie Fußball aussehen könnte, wenn sich Fans, angewidert von Kommerz, Gier und Korruption, endgültig vom Fußball abwenden würden. Nutzt den Wendepunkt dieser Krise, um als Fußball wieder Vorbild zu sein: Vorbild für fairen Sport ohne Wettbewerbsverzerrung, ohne Gehaltsexzesse, für nachhaltiges Wirtschaften, für emotionalen und intensiven Wettbewerb. Der Fußball darf weder zum Luxusartikel für extrovertierte Milliardäre verkommen, noch permanent kurz vor der Insolvenz stehen, sondern muss Teil unserer Gesellschaft bleiben, Verantwortung übernehmen und seinen Beitrag für eine bessere Zukunft leisten.

Dann kommen wir gerne wieder zurück ins Stadion.