Der Weg ist das Ziel – Bericht über einen Stadionbesuch in Zeiten von Corona

Als ich die Benachrichtigung erhielt, dass mein Los ein Ticket für das letzte Testspiel des 1. FC Union Berlin vor Saisonbeginn gegen den 1. FC Nürnberg gewonnen hat, habe ich mich deutlich mehr gefreut, als ich das wahrscheinlich noch vor einem halben Jahr getan hätte. Damals war ich gerade vom Auswärtsspiel in Freiburg zurückgekehrt, Union hatte zwar mit 3:1 verloren, stand aber im Kampf um den Klassenerhalt gut da und konnte selbstbewusst in den Rest der Saison gehen. Die Woche darauf stand das Spiel gegen den FC Bayern an und viele Unioner freuten sich auf das Spiel, gerade auch mit dem Überraschungssieg gegen Dortmund am dritten Spieltag im Hinterkopf. Man freute sich auf ein volles, lautes, emotionales Stadion, eine vom Publikum nach vorne gepeitschte Mannschaft und hoffentlich ein bisschen Unterstützung des Fußballgotts.   

Doch nichts davon sollte zutreffen. Denn meistens kommt es anders, und zweitens, als man denkt.

Als ich mich am Samstag, 187 Tage nach dem letzten Heimspiel vor Zuschauern an der Alten Försterei, auf den Weg zum Stadion machte, war ich zunächst einmal neugierig.

Union hatte zunächst ein Konzept vorgestellt, bei dem eine Vollauslastung möglich wäre, wenn alle Stadionbesucher vor dem Spiel einen maximal 24 Stunden alten, negativen Corona-Test vorlegen können. Dieses Konzept wurde jedoch zurückgezogen und quasi als „Plan B“ ein Test mit Zuschauern und Stehplätzen im Stadion geplant.

In Berlin sind derzeit Großveranstaltungen mit bis zu 5.000 Besuchern unter freiem Himmel erlaubt. Auf dieser Grundlage hatte Union gemeinsam mit dem Gesundheitsamt Treptow-Köpenick ein Konzept erarbeitet, durch welches ein Stadionbesuch für das Jubiläumsspiel zum 100-Jährigen Geburtstages des Stadions an der Alten Försterei für 5.000 anstelle der sonst 22.012 Zuschauer möglich werden sollte. Als Gast konnte der Gegner der damaligen Eröffnungspartie und damalige deutsche Meister, der 1.FC Nürnberg gewonnen werden.

Die Tickets für das Spiel sollten unter den 38.000 Vereinsmitgliedern verlost werden. Hierbei konnte man zwischen Sitzplatztickets auf der Haupttribüne und Stehplatztickets in allen anderen Sektoren des Stadions wählen. Damit eine mögliche Rückverfolgung gewährleistet werden kann, waren auch die Stehplätze nummeriert.

In der S-Bahn nach Köpenick schaute ich mich gespannt um, wie viele Unioner ebenfalls auf dem weg zum Stadion waren. Normalerweise ist die S3 nach Köpenick ca. 90 Minuten vor Spielbeginn brechend voll und man muss sich oftmals irgendwo dazwischenquetschen und bis Köpenick mindestens den Bauch einziehen, um genug Platz zu haben. Diesmal war die S-Bahn aber nur normal gefüllt, sodass es auch noch einige freie Sitzplätze gab. Auf den anderen Sitzen saßen jedoch auch einige Leute mit Schals oder rot-weißem Mundschutz. Als die Bahn kurz vor dem S-Bahnhof Köpenick an der „Abseitsfalle“, der Fankneipe direkt neben dem Stadion, vorbeifuhr, konnte man vor der Kneipe schon mehr Leute in rot und weiß erkennen. Und auf dem Weg vom S-Bahnhof durch den Wald zum Stadion fanden sich ca. eine Stunde vor Anpfiff immer mehr Unioner ein, sodass es sich hier kurz wie ein normaler Spieltag anfühlte.

Am Stadion angekommen bemerkte ich dann die erste Abweichung im Ablauf im Vergleich zu einem normalen Heimspieltag. Eigentlich gelangt man mit einer Karte für die drei Stehplatzsektoren, also Waldseite, Gegengerade und Wuhleseite, durch alle Einlässe ins Stadion. Dort gibt es dann einen umlaufenden Weg, über den man zum entsprechenden Sektor kommt.  Dies war heute anders.

Mit meiner Karte zur Waldseite konnte ich nur über den Eingang an der Ecke der Haupttribüne zur Waldseite ins Stadion gelangen, nicht jedoch an der Ecke, wo die Gegengerade an der Waldseite angrenzt. Auch der umlaufende Weg im Stadion war heute durch Zäune gesperrt. Dadurch sollten die Leute möglichst gleichmäßig auf die Eingänge verteilt werden.

Als ich den passenden Einlass gefunden hatte, war ich zunächst erschrocken über die lange Schlange an Leuten, die vor mir am Einlass stand. Die Sorge, nicht rechtzeitig zum Anpfiff im Stadion zu sein, löste sich jedoch schnell auf. Die Schlange war bei genauerem Hinsehen nur dem Abstand von ca. 1,5m geschuldet, den die Leute zueinander beim Warten einhielten. Noch in der Schlange hörte ich von drinnen zunächst langen Applaus und dann ein wirklich lautes „Eisern Union! Eisern Union! Eisern Union!“, welches aus dem Stadion nach draußen schallte.        Die Mannschaft hatte wohl gerade erstmals das Feld betreten. Vorfreude machte sich in mir breit und auch im mich herum in der Schlange stimmten einige Leute in das „Eisern Union“ mit ein.

Die ca. fünf bis sieben Minuten Wartezeit in der Schlange gingen dann doch sehr schnell um und ich stand am Einlass. Hierbei musste ich nun mein zuhause ausgedrucktes und mit Namen personalisiertes Ticket sowie meinen Mitgliedsausweis vorzeigen. Dadurch sollte sichergestellt werden, dass auch nur die Personen, die das Ticket gekauft haben, ins Stadion gelangten und eine theoretische Rückverfolgung einer Infektionskette möglich ist. Nachdem ich mich mit dem Rücken zum Ordner abtasten ließ, ging es dann auch fix ins Stadion.

Dort fiel mir die nächste größere, optische Veränderung auf: auf dem Boden waren mit Sprühkreide rote Pfeile aufgetragen, die die Laufrichtung auf den Wegen zeigten. Ein einfaches Prinzip, was dazu beiträgt, dass Leute sich nicht entgegenlaufen oder durch Menschenmengen durchschlängeln und somit auch mit so wenig Leuten wie möglich miteinander in Kontakt kommen. Auf dem Weg zu meinem Platz machte ich noch einen Abstecher zum Bierstand, wo ich ein Bier im Einwegbecher statt wie üblich im Mehrwegbecher hinter einer Plexiglasscheibe hervorgereicht bekam.