Der Weg ist das Ziel – Bericht über einen Stadionbesuch in Zeiten von Corona

Nach kurzer Suche fand ich den mir zugewiesenen Platz, mittig leicht rechts versetzt hinter dem Tor. Im gesamten Stadion auf den Wegen und auch am Einlass herrschte die Verpflichtung zum Tragen einer Maske. War man am eigenen Platz angekommen, konnte man diese jedoch abnehmen.  Auf dem Boden waren mit der Sprühkreide mit roten Ringen die Plätze markiert, die jeweils ca. 1,5m auseinanderlagen. Zudem war nur jede zweite Stufe mit den markierten Plätzen versehen, und die Plätze lagen auch nicht direkt hintereinander, sondern waren leicht nach links und rechts versetzt, sodass ein gleichmäßiger Abstand in alle Richtungen gewährleistet war.

Nach und nach fand jeder im Stadion seinen Platz und nach einer emotionalen Begrüßung durch Stadionsprecher Christian Arbeit lief zunächst die Hymne, worauf kurz danach der Anpfiff ertönte.

Eigentlich gibt es bei Union bei Testspielen keinen organisierten Support. Eigentlich.

Denn mit dem Anpfiff fiel den anwesenden Fans eine wirklich große Last von den Schultern und Stimmbändern, sodass das ganze Spiel über Lieder und Schlachtrufe angestimmt wurden. Man merkte richtig, wie gut es allen Anwesenden tat, dass es zumindest einen Schritt in Richtung Normalität für Fans bei einem Fußballspiel im Stadion gab, und wie sehr allen Anwesenden der Fußball im Stadion und mit Fans gefehlt hat. Dementsprechend ausgelassen war auch die Laune bei meinen Platznachbarn um mich herum, das ließ sich auch mit 1,5m Abstand feststellen. Die Gesänge waren aufgrund fehlender Trommeln vielleicht nicht immer im Takt und es gab auch mal zwischendrin einige kurze Pausen.

Aber es kamen immer wieder Schlachtrufe und Gesänge auf, und beides auch wahrlich nicht zurückhaltend, sondern durchaus in voller Lautstärke, auch wenn das nicht jeder so sah. So fiel in einem anderen Bereich der Waldseite der wahrscheinlich nicht ganz ernst gemeinte Spruch: „Wieso brüllt ihr hier alle so leise? Seid ihr ernsthaft hier, um Fußball zu gucken?“

Fußball wurde ja nebenbei auch noch gespielt. Union hatte die erste Halbzeit im Griff und hatte durch zwei Fernschüsse auch gute Gelegenheiten zur Führung. In der zweiten Halbzeit wurde das Spiel etwas unterhaltsamer und es kam auf beiden Seiten zu mehr Torabschlüssen. Union ging in der 51. Minute durch Marcus Ingvartsen in Führung, Nürnberg konnte zwei Minuten später durch Nikola Dovedan ausgleichen. Marcus Ingvartsen erzielte dann in der 65. Minute per Elfmeter durch seinen zweiten Treffer das entscheidende Tor des Tages. Emotional wurde es nochmal zur Einwechslung von Akaki Gogia in der 81. Minute. Der Flügelspieler von Union Berlin hatte sich vor ziemlich genau einem Jahr beim Ligaspiel gegen Frankfurt das Kreuzband gerissen und feierte nun sein Comeback. Dafür wurde er nun von den 4.500 anwesenden Fans mit dem lautesten Applaus des Tages begrüßt.

Nach Spielende gab es noch einmal eine Ehrenrunde der Mannschaft auf dem Spielfeld, bevor es dann für die Stadionbesucher auf den Heimweg ging. Hierfür ging es zunächst den Pfeilen auf dem Boden folgend auf den oberen Teil der Tribüne, um von dort ohne Umwege über die Treppen nach draußen das Stadion zu verlassen.  Über den beleuchteten Weg durch den Wald ging es dann zügig in Richtung S-Bahnhof und von dort nach Hause, um das erlebte nochmal Revue passieren zu lassen.

Zunächst: Viele meiner Freunde waren heute nicht im Stadion. Einige wollen getreu der Devise „Alle oder keiner“ warten, bis wieder eine volle Auslastung im Stadion möglich ist. Auch das Losverfahren hatte zu einigen Komplikationen geführt, da zum Beispiel Familien gerne zusammen gegangen wären, jedoch nur Teile der Familie Losglück hatten. Auch dass man sich nun auf einen festen Stehplatz beim Ticketkauf festlegen muss ist noch ungewöhnlich, jedoch sicher auch etwas, an das man sich vorrübergehend gewöhnen kann. Auch die Tatsache, dass am Spieltag nur 4.500 statt der eigentlich möglichen 5.000 Zuschauer da waren, zeigt, dass viele Leute diesem Schritt zurück zu Zuschauern im Stadion noch kritisch gegenüberstehen.

Es gibt auch viele Fans, die in der aktuellen Situation einfach keine Lust auf Fußball haben und sich einfach mal eine Pause nehmen. So hatte ich das auch während der restlichen Spiele der vergangenen Saison gehandhabt. Die Geisterspiele hatte ich bis auf eines nur am Rande verfolgt, da mit den Fans ein sehr wichtiger Faktor eines spannenden und emotionalen Fußballspiels einfach weg war. Da helfen auch keine Pappaufsteller, computeranimierte Zuschauer auf den Tribünen oder aufgenommene Fangesänge. Dabei fühlt man sich eher wie in einem FIFA-Teil aus den 2000er-Jahren. Das war dann mehr eine künstliche Fußball-Simulation als ein echtes Fußball-Erlebnis.

Wir haben im letzten halben Jahr mit den dauerhaften Geisterspielen eine Dystopie des Fußballs erlebt. Niemand, dem der Fußball und eine lebendige Fankultur wirklich am Herzen liegt, kann diesen Zustand länger als nötig wollen. Daher war ich froh über diesen Test.

Natürlich ist die Pandemie noch lange nicht überstanden. Natürlich darf man nicht mit einer Vollauslastung innerhalb der nächsten Saison planen. Aber wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben. Nach dem ersten Lockdown haben nun die Läden im Einzelhandel wieder voll geöffnet, Kitas, Schulen und Hochschulen erproben Konzepte, um mit der Pandemie umzugehen und auch Restaurants und Bars haben wieder geöffnet.

Und solange in Berlin Konzerte von Roland Kaiser vor 5.000 Zuschauern stattfinden können, denke ich, dass auch Fußballspiele im ähnlichen Maßstab stattfinden dürfen. Zumindest, wenn es die aktuelle Infektionslage und die damit verbundene Sicherheit sowie das Verhalten der Fans hergeben. Und was diese Aspekte angeht, war der Test am Samstag ein voller Erfolg.

Das Konzept, welches von Union gemeinsam mit dem Gesundheitsamt ausgearbeitet wurde, hat aus meiner Wahrnehmung gut funktioniert (auch das Gesundheitsamt Treptow-Köpenick sieht das so).   Die Wegmarkierungen waren sinnvoll und haben zu weniger Kontakt zwischen den Menschen beigetragen. Auch haben die Leute durchgängig die Maskenpflicht beachtet, wenn sie im Stadion unterwegs waren. Die Abstände an den Stehplätzen wurden ebenfalls das gesamte Spiel über eingehalten. Natürlich war noch nicht alles perfekt. So könnte zum Beispiel das Verlassen des Stadions nach Blöcken gestaffelt passieren, um einen Stau an den Ausgängen zu verhindern. Auch ist der S-Bahnhof Köpenick normalerweise nach Spielen ein verkehrstechnisches Nadelöhr, an dem sich erneut viele Menschen sammeln. Aber das sind alles Dinge, die man ohne Praxistests nie herausfinden und verbessern kann.

Für alle Leute, ob Fans, Spieler oder Mitarbeiter, die am Samstag im Stadion waren, war der Stadionbesuch eine Herzenssache. Das hat man an den Gesängen gemerkt, an den glücklichen Gesichtern und auch an den Gesprächen nach dem Spiel. Gleichzeitig war sich aber auch jeder seiner Verantwortung bewusst, dass ein Stadionbesuch in Zeiten einer Pandemie ein absolutes Privileg ist, bei dem bestimmte Regeln eingehalten werden müssen. Und dieses vorhandene Bewusstsein gibt mir Hoffnung, dass dieses Testspiel ein Vorbild für andere Vereine sein kann, ähnliche Tests anzustoßen.

Wir sind am Anfang eines Weges, an dessen Ende hoffentlich volle Stadien stehen. Wie lange dieser Weg dauern wird, weiß niemand. Aber wir müssen diese Wege laufen, und sie beginnen mit einem ersten Schritt, welcher eben momentan Testspiele vor Zuschauern sind. Oder um es mit den Worten eines anderen Unioners auf Twitter zu sagen:

Alle ist weiterhin das Ziel, und wenige ist besser als keine.

Felix Gerstlauer (07.09.2020)