Diskriminierungs-Vorfall bei einem der größten Jugendfußballturniere der Welt

FC PlayFair!: Vor kurzem warst Du in Schweden bei einem Turnier, bei dem es, ich sag einfach einmal zu einem Zwischenfall gekommen ist. Was genau ist dort vorgefallen?

Nico Salfeld: Hier würde ich gerne ein wenig ausholen, um den gesamten Vorfall vom Anfang bis zum Ende zu schildern. Seit 2018 bin ich bei der Organisation „Referee Abroad“, die auf ehrenamtlicher Basis Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern ermöglicht, an internationalen Jugendfußballturnieren teilzunehmen. Dort war ich auch schon an unterschiedlichen Orten und habe bislang im Rahmen dieser Arbeit tolle Erfahrungen gemacht. Ich habe hochklassige Spiele mit Beteiligung von Atletico Madrid, Benfica Lissabon oder Paris Saint Germain gepfiffen.

In Göteborg waren wir dann eine relativ kleine Gruppe von der Organisation und anders als bei anderen Turnieren hatte unser Ansprechpartner von der Organisation nicht die Macht, zu entscheiden, wer welche Spiele pfeift. Dies hat der Veranstalter, der Gothia Cup übernommen. Dieses Turnier ist mit ca. 1600 Mannschaften und über 400 Schiedsrichtern das weltweit größte Jugendfußballturnier. 

Normalerweise läuft es immer so ab, dass jede/r fünf oder sechs Spiele pro Tag pfeift. An meinem ersten Tag waren es sogar sieben, weil noch nicht alle Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter da waren. Bei zwei Spielen hatte ich die Ehre, als Spielleiter zu fungieren und bei den anderen fünf Partien agierte ich als Assistent. Am ersten Tag war auch eine Person vom Gothia Cup vor Ort, der sich angeschaut hat, ob bei uns Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern alles läuft. Generell hat diese Person aber sehr wenig mit uns kommuniziert und nur die wichtigsten Basics abgefragt. Auch mich hat er angesprochen und gefragt, ob ich mit meinen Schienen an der Hand und am Knie, die ich habe, weil letztes Jahr meine Kniescheibe herausgesprungen ist, überhaupt pfeifen könne. Selbstverständlich habe ich ihm versichert, dass dies kein Problem darstellt und ich die Schiene am Knie nur als Vorsichtsmaßnahme trage.

Am zweiten Tag wurde ich dann als einziger Schiedsrichter unserer Organisation nur noch für Kleinfeldspiele bei Spielen der U10, U11 und U12 eingesetzt. Da war ich zunächst verwundert, weil angekündigt wurde, dass die Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter unserer Organisation eigentlich nur auf Großfeldspielen eingeplant sind. Weil ich aber dachte, dass sie unbedingt jemanden brauchen und mir das Pfeifen einfach Spaß macht, habe ich die Partien in den genannten Altersstufen an den ersten drei Tagen geleitet. Bei anderen Turnieren ist es durchaus auch schon einmal vorgekommen, dass ich an ein paar Tagen „nur“ für Kleinfeldspiele eingeteilt war. Als ich am vierten Tag immer noch Kleinfeldspiele pfeifen sollte, bin ich auf meinen Ansprechpartner zugegangen. Dieser erklärte mir dann, dass er keinen Einfluss auf die Einteilung habe und der sogenannte „Big Boss“ dies übernimmt und mir in einer längeren Pause auch einmal erklären kann, warum das so ist.

In diesem Gespräch ergab sich, dass der Beobachter, der am ersten Tag vor Ort war, dem schwedischen „Big Boss“ erklärt hat, dass ich kein richtiger Schiedsrichter sei, dass ich nur im Mittelkreis gestanden hätte, dass ich mich kaum bewegen könne und dass es am besten wäre, wenn ich gar keine Spiele mehr bekommen würde. Daraufhin hat sich mein Ansprechpartner vor Ort dafür eingesetzt, dass ich weiterhin Spiele auf Großfeld bekommen soll. Am Ende haben sie sich darauf geeinigt, dass ich nur noch Kleinfeldspiele leiten darf. Darüber war ich natürlich „not amused“ und nach mehrfacher Nachfrage hat auch mein Ansprechpartner vor Ort kundgetan, dass es für ihn eine Form der Diskriminierung wäre, weil ich im Großen und Ganzen auf mein körperliches Erscheinungsbild reduziert wurde. Als geborener Ruhrgebietler bin ich manchmal auch sehr impulsiv und habe daraufhin relativ schnell per Facebook-Post öffentlich gemacht, was mir widerfahren ist.

Mein Ansprechpartner hat mir dann ans Herz gelegt, dass ich den Post löschen soll, da es sowohl auf ihn als auch auf mich ein schlechtes Licht werfen könnte. Ich habe mich aber dazu entschieden, dies nicht zu machen, weil man Diskriminierung nicht einfach so stehen lassen sollte. Kurz darauf habe ich die Information bekommen, dass der Schiedsrichter-Direktor vom Turnier, also der sogenannte „Big Boss“, mich am nächsten Tag sprechen möchte. Dort hat er mir mitgeteilt, dass der Beobachter vom ersten Tag übermittelt habe, dass ich im ersten Spiel noch einigermaßen in Ordnung mitgelaufen wäre, im zweiten schon weniger und im Dritten gar nicht mehr. Das stimmt insofern schon mal nicht, weil ich ja nur zwei Spiele als Hauptschiedsrichter hatte. Darüber hinaus meinte er, dass ich aufgrund meiner Schienen und meiner körperlichen Verfassung nicht in der Lage sei, Spiele auf einem Großfeld zu pfeifen. Er hat zwar das Wort Einschränkung bewusst nicht verwendet. Allerdings habe ich seine Blicke ganz klar so gedeutet, dass er genau das meinte. Nachdem er nach dem ersten Tag mit dem Beobachter gesprochen hat, habe er sich an meinen Ansprechpartner gewendet, woraufhin dieser gesagt hat, dass er vergessen habe, ihm das mitzuteilen.[1]  Dann kam die Aussage, die mich am meisten schockiert hat. Er hat gesagt, dass ich gar keine Großfeldspiele bekommen hätte, wenn er von meiner körperlichen Einschränkung gewusst hätte. Da musste ich erst einmal schlucken, weil dieser Mensch gesagt hat, dass er mir von vornherein keine Chance gegeben hätte, ohne dass er mich auch nur einmal gesehen hat. Er hätte mich also von Anfang an nur wegen meiner Einschränkung zu einem Menschen zweiter Klasse degradiert. So kam es mir zumindest vor. An den letzten beiden Tagen habe ich keine Spiele mehr bekommen. Dies hängt höchstwahrscheinlich auch mit dem Facebook-Post zusammen. 

Im Anschluss war für mich klar, dass das Gespräch relativ schnell beendet werden kann, weil ich mit solchen Menschen ungern kommunizieren möchte. Ich habe ihm dann nur noch gesagt, dass ich es akzeptieren muss, weil ich ein Sportsmann bin und seine Entscheidung hinnehme. Jedoch kann ich nicht akzeptieren, in welcher Art und Weise das Ganze von Statten gegangen ist. Ich sage offen und ehrlich, dass ich dort in einer Art und Weise diskriminiert wurde, wie ich es vorher noch nie erlebt habe.

Bei der großen Eröffnungsfeier zu Beginn der Woche wurde noch gesagt, dass der Gothia Cup als größtes Jugendfußballturnier sich gegen Diskriminierung einsetzt und einen extra Bereich für Menschen mit geistiger und körperlicher Beeinträchtigung hat. Ich weiß, dass ich nie auf dem ganz obersten Niveau pfeifen kann und auch ein bisschen anders laufe. Aber dass hier gesagt wurde, dass ich nicht einmal die Chance bekomme, mich zu beweisen, nur aufgrund meiner Behinderung, kann ich so nicht akzeptieren.