In der vergangenen Saison bekundeten weite Teile der aktiven Fanszene in Deutschland ihre Solidarität mit dem Fanprojekt in Karlsruhe. Anlass dafür war, dass die Mitarbeitenden des Fanprojekts in den Fokus der Justiz geraten waren. Wir sprechen über die Gründe dafür und wie der Prozess weitergeht. Weiterhin thematisieren wir das Fehlen eines Zeugnisverweigerungsrechts in der sozialen Arbeit und die Aufgaben eines Fanprojekts im Milliardenzirkus des Fußballgeschäfts. Dafür steht uns Volker Körenzig, Leiter des Fanprojekts Karlsruhe, Rede und Antwort.
Das Interview führte Tobias Hügerich.
FC PlayFair!: Das Fanprojekt Karlsruhe ist seit einiger Zeit Thema in Fußballdeutschland. Warum eigentlich?
Volker Körenzig: Das geht schon seit zwei Jahren so. Echt erschreckend, was für ein langer Zeitraum das ist. Beim Spiel Karlsruher SC gegen den FC St. Pauli im November 2022 gab es eine Choreografie mit Einsatz von Pyrotechnik von unseren Ultras. Diese Aktion ist im neuen Stadion schiefgegangen. Viel mehr will ich dazu gar nicht sagen, weil das Verfahren noch läuft.
FCPF: Welche Konsequenzen folgten?
Volker: Ausgehend von dieser Situation gab es im Januar 2023 Hausdurchsuchungen bei 37 Fußballfans. Im Prinzip wurde die gesamte Gruppe, die an der Choreografie beteiligt war, durchsucht. Von jeder Person wurden digitale Geräte, privat und geschäftlich, beschlagnahmt und ausgewertet. In diesen Auswertungen wurde für die Polizei schnell erkennbar, dass wir als Fanprojekt im Dezember 2022 schon im Auftrag des Vereins (Karlsruher SC, Anm. d. Red.) ein Gespräch zwischen Geschädigten und Fußballfans geführt haben. Ich sage jetzt explizit „Fußballfans“, weil es im Verfahren ein bisschen anders dargestellt wurde. In diesem Gespräch waren auch Fans dabei, die gar nicht der Gruppe, die für diese Choreografie verantwortlich war, angehört haben. Da ist die Wertung der Polizei, dass es sich hierbei um die Täter gehandelt habe, faktisch nicht richtig. Nichtsdestotrotz haben sie uns im Mai zu einer polizeilichen Vernehmung aufgefordert. Dort waren wir mit einer Anwältin, die uns beraten und vertreten hat und haben uns auch mit unserem Arbeitgeber, dem Stadtjungendausschuss abgesprochen, da sich in unserem Vertrag eine Nebenabrede befindet.
FCPF: Was genau ist in dieser Nebenabrede festgeschrieben?
Volker: Dort ist festgeschrieben, dass wir laut Arbeitsvertrag beim Stadtjugendausschuss Karlsruhe e.V. (STJA) bei der Polizei und der Staatsanwaltschaft gar keine Aussage machen dürfen, weil wir sozusagen eine Schweigepflicht zum Schutz von Sozialdaten haben. Das hat unser Arbeitgeber so festgelegt und ohne seine Genehmigung unterliegen wir dieser Pflicht. Darauf haben wir uns bei der polizeilichen Vernehmung gestützt. Das Resultat war ein Ordnungsgeld von 300 Euro. Das haben wir dann auch bezahlt. Bei der Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft haben wir wieder so gehandelt und müssen als Konsequenz wieder ein Ordnungsgeld bezahlen. Wobei wir das bis heute noch nicht bezahlt haben, da es nie beziffert wurde.
FCPF: Wird das vom Fanprojekt bzw. vom Stadtjugendausschuss übernommen oder zahlt ihr das aus eurer eigenen Tasche?
Volker: Unser Arbeitgeber darf keine Strafgelder von Mitarbeitenden bezahlen. Das haben meine Kolleg:innen und ich von unserem persönlichen Konto überwiesen. Aber das zeigt die Krux bei der ganzen Sache. Die Konsequenzen erreichen uns persönlich. Das heißt, dass auch die Briefe von der Justiz nicht an die Adresse des Fanprojekts, sondern an die private gehen.
FCPF: Was war das Resultat, als ihr bei der Staatsanwaltschaft auf die Nebenabrede in Eurem Vertrag verwiesen habt?
Volker: Die Nebenabrede hat den Staatsanwalt überhaupt nicht interessiert. Der hat mir gesagt, dass ich nicht als Mitarbeiter des Fanprojekts, sondern als Privatperson verhört werde und deshalb auszusagen habe. Wir konnten die Fragen des Staatsanwalts aber ohnehin nicht beantworten, weil eigentlich nur eine Frage zum konkreten Vorfall gestellt wurde. Zehn weitere Fragen wurden zur Struktur der Gruppe gestellt. Unsere Entscheidung dazu war natürlich, dass wir diese Informationen nicht preisgeben. Dann könnten wir das Fanprojekt auch gleich zumachen. Auch das hat den Staatsanwalt nicht interessiert, da für diesen der Ermittlungserfolg an erster Stelle gestanden hat. Daraufhin wurden wir zu einer richterlichen Vernehmung geladen. Die war schon etwas happiger, da unser Arbeitgeber da die Aussagegenehmigung theoretisch erteilt und von der Nebenabrede abgesehen hätte . So weit ist es aber gar nicht gekommen.
FCPF: Warum?
Volker: Die Staatsanwaltschaft hat aufgrund unserer Weigerung eine Aussage zu tätigen Beugehaft beantragt. Bei der Verhandlung zur Beugehaft hat der Richter schon in seiner Einlassung gesagt, dass er mit Fußball nichts zu tun hat. Jedoch habe er sich ein bisschen erkundigt und erfahren, dass noch nie ein:e Sozialarbeiter:in im Rahmen der Berufstätigkeit in Beugehaft gekommen ist. Die Tasche hatte ich schon gepackt, weil es natürlich möglich war, dass der Richter dem Vorschlag des Staatsanwalts folgt. Er hat dann aber ausgeführt, dass er überhaupt keinen Mehrwert in unseren Aussagen für die weitere Strafverfolgung sieht. Daraufhin hat der Richter entschieden, dass er uns nicht zur Aussage zwingen kann und keine Beugehaft aussprechen wird. Anschließend hat der Staatsanwalt angekündigt, dass er sich etwas neues einfallen lässt. Damit war die Verhandlung beendet.
FCPF: Und wie ging es dann weiter?
Volker: 14 Tage später haben wir dann einen Strafbefehl wegen Strafvereitelung erhalten. Das heißt, dass wir jetzt eine neue Dimension erreicht haben. Vorher waren wir Zeug:innen, jetzt sind wir Beschuldigte in einem Strafverfahren. Das Strafmaß, das am Ende ausgesprochen wurde, lautete 120 Tagessätze a 60 Euro und damit vorbestraft. (ab 90 Tagessätzen gilt man als vorbestraft, Anm. d. Red.) Das ist ein richtiger Knaller. Der Staatsanwalt hätte auch einfach sagen können, dass ein Gericht uns freigesprochen hat und er jetzt Ruhe gibt. Das hat er aber nicht gemacht. Und jetzt haben wir das nächste Desaster. Wir haben daraufhin Widerspruch eingelegt und am 15.10. diesen Jahres folgt eine Verhandlung am Amtsgericht zum Widerspruch gegen den Strafbefehl. Das ist der aktuelle juristische Stand.