FCPF: Apropos Zeugnisverweigerungsrecht. Die Nebenabrede in eurem Arbeitsvertrag ist eine Art Zeugnisverweigerungsrecht, die aber nicht durch den Gesetzgeber, sondern durch den Träger gewährleistet ist und die am Ende des Tages auf juristischer Ebene nicht so viel Wert ist.
Volker: Das fasst es schon ganz gut zusammen. Unser Träger hat sich dabei gedacht, dass wir soziale Daten nicht weitergeben dürfen. Aber in der Praxis haben wir gesehen, dass das eigentlich bedeutet, dass ich sensible Informationen nicht an Zivilpersonen weitergeben darf. Wenn die Justiz diese einfordert, muss ich sie anscheinend herausrücken.
FCPF: In anderen Berufen gibt es das Zeugnisverweigerungsrecht doch auch aus guten Gründen, beispielsweise für Ärzt:innen und Journalist:innen.
Volker: Im sozialen Bereich haben das nur die Drogen- und Schwangerschaftskonfliktberatung. Und die mussten sich das auch erst durch öffentlichkeitswirksame Vorfälle erkämpfen. Dann hat der Staat erst eingesehen, dass ein solches Recht angebracht ist. Wir hoffen, dass nach Ende unseres Prozesses auch ein:e namenhafte:r Politiker:in sagt, dass sich etwas ändern muss. Wir hatten auch Termine mit zwei Bundestagsabgeordneten aus Karlsruhe. Aber bis die es an die Entscheider:innen innerhalb ihrer Partei herantragen, vergeht natürlich viel Zeit. Und jetzt, ein Jahr vor der Bundestagswahl, machen sie das bestimmt nicht. Kein:e Politiker:in will sich jetzt die Finger verbrennen. Und dann muss man schauen, wer überhaupt an die Macht kommt. Wir haben es nicht einmal mit der Ampel-Koalition geschafft und so wie es derzeit aussieht, wird es nach der Bundestagswahl 2025 für den sozialen Bereich bestimmt nicht besser.
FCPF: Wie genau setzt sich das Bündnis Zeugnisverweigerungsrecht in der sozialen Arbeit zusammen?
Volker: Anfangs haben sich nur die Fanprojekten organisiert. Wir haben aber gemerkt, dass wir mehr Zusammenschlüsse von Menschen brauchen. Deswegen haben wir uns beispielsweise mit Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbänden vernetzt. Leute, die sich in diesen Organisationen engagieren haben daran auch ein Interesse, da diese teilweise auch davon betroffen sind. In unserer Diskussion mit der Politik hat sich aber herausgestellt, dass die Forderung nach einem Zeugnisverweigerungsrecht für alle in der sozialen Arbeit unrealistisch ist.
FCPF: Warum?
Volker: Wenn man es einmal weiter runterdeklariert, muss man sich die Frage stellen, wer überhaupt insgesamt zum Sektor der sozialen Arbeit zählt. Sind das dann zum Beispiel auch Praktikant:innen oder Teilzeitarbeiter:innen im sozialen Bereich, die mehr oder weniger Teil ihrer jeweiligen Subkultur sind? Wenn der Staat da einlenkt, gibt er seine Macht aus der Hand. Das verstehe ich auch irgendwo. Gerade in der jetzigen Lage, in der viele Krisen einige Dinge in Frage stellen. Das stellt für den Staat und seine Legitimität eine große Herausforderung dar.
FCPF: Dann müsste man ja von Seiten des Staates auf die Idee kommen, dass Repressionen gegen Jugendliche nicht annähernd den gleichen Effekt haben, wie das Hinterfragen der Handlungen und eine sinnvolle Prävention durch Pädagog:innen.
Volker: Die jungen Leute im Block verhalten sich genauso wie vor 30 Jahren auch. Jede:r will sich als Teil seiner Entwicklung ein bisschen austoben, die eigenen Grenzen kennenlernen und ein bisschen die Polizei und das Sicherheitspersonal ärgern. Mehr nicht. Da ist klar, dass mehr Polizeipräsenz nur zu mehr Eskalation und nicht zur Beschwichtigung des Verhaltens führt.
FCPF: Das Nichtvorhandensein des Zeugnisverweigerungsrechts schränkt ja auch in der Arbeit ein. Kannst Du hierfür ein paar Beispiele in Deiner Praxis nennen?
Volker: Es schränkt hauptsichtlich am Spieltag ein. Beispielsweise beim Fanmarsch hat das schon große Auswirkungen. Früher war ich immer vorne dabei, um einen Überblick zu haben. Mittlerweile laufe ich eher hinten, um keine potenziellen Straftaten sehen zu können. Der Austausch mit der Polizei gestaltet sich dann natürlich auch schwer. Aber ich bin generell bei Fanmärschen und Aufeinandertreffen von Fans vorsichtiger geworden, um nicht Teil eines weiteren Strafverfahrens zu sein.
FCPF: Und in der täglichen Arbeit?
Volker: Wochentags hat sich nichts verändert. Wir haben nach wie vor das gleiche Vertrauensverhältnis zu den Ultras. Wir begleiten und beraten weiterhin Fans in Strafverfahren. Manchmal fragt man sich, warum die Polizei so viele Informationen hat und welche Mittel sie dafür einsetzt. Eigentlich soll man in seiner Funktion als Sozialarbeiter:in auch vermitteln, dass man dem Staat vertrauen kann. Aber im Angesicht der aktuellen Ereignisse fällt das natürlich schwer.
FCPF: Die DFL und der DFB stellen allen Fanprojekten jährlich ca. 8 Millionen Euro zur Verfügung. In Relation zu dem Geld, das sonst im Fußball bewegt wird, ist das ein Kleckerbetrag. Würde man sich, gerade vor dem Hintergrund der Wichtigkeit von Fanprojekten, mehr monetäre Unterstützung erwünschen?
Volker: Die DFL hat eine Maximalförderung von 150000 Euro pro Fanprojekt im Jahr festgelegt. Davon kommt aber der Großteil von der Stadt und vom Bundesland. Diese Regelung gibt es schon seit 2003, seitdem die DFL die Fanprojekte überhaupt finanziert. Das führt natürlich unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Fußballgeschäft seitdem unfassbar gewachsen ist, zu erheblichen Problemen. Uns fehlen im Jahr 30.000 Euro durch die steigenden Personalkosten. Die Konsequenz ist, dass eine von den drei Stellen nicht mehr als Vollzeitstelle besetzt wird. Meine Forderung ist, dass die Geldgeber sich an den steigenden Kosten beteiligen. Also sowohl Stadt und Land als auch DFL und DFB.
FCPF: Was ist die Begründung für das Nicht-Erhöhen?
Volker: Die DFL wartet auf die Entscheidung in dem Gerichtsverfahren zur Beteiligung des Fußballs an Polizeikosten ab, die durch den Vorfall in Bremen (Das Bundesland Bremen forderte die DFL auf, sich an Polizeieinsätzen bei Hochrisikospielen zu beteiligen, Anm. d. Red.) entstanden ist. Dort wurde das Verfahren damit begründet, dass diese Kosten bereits zu hoch wären und eigentlich die Vereine mehr Kosten übernehmen müssten. Dabei geht es um ungefähr 1 Million pro Spieltag für jeden Verein bei Hochsicherheitsspielen. Natürlich kann das der FC Bayern bezahlen, aber ich bin mir nicht einmal sicher, ob das jeder Bundesligist stemmen könnte. Und dann muss man mindestens bis in die Regionalligen gehen, denn dort ist an vielen Orten ja auch ein hohes Fanaufkommen bei Hochsicherheitsspielen. Die können das mit Sicherheit nicht bezahlen.
FCPF: Ach, hier soll auf einmal jeder gleichbehandelt werden. Was ist die Konsequenz aus der Debatte?
Volker: Wenn die Gelder fehlen, ist die Konsequenz, dass einige Fanprojekte geschlossen werden. Das ist teilweise auch schon passiert. Hier sollte die DFL meiner Meinung nach schon einmal klar Position beziehen. Es wird immer betont, dass die Arbeit der Fanprojekte wichtig sei. Aber wenn es dann um die Finanzierung geht, werden wir klar benachteiligt. Und wenn man einmal die Relation sieht, wie viel allein für Polizeieinsätze pro Spiel ausgegeben wird ist das unglaublich. Uns wird dann teilweise die Frage gestellt, warum wir als Fanprojekt Gewalt nicht verhindern würden, obwohl es unsere Aufgabe sei. Wenn 1000 Polizist:innen, für die bei einem Hochsicherheitsspiel bestimmt über 1 Million ausgegeben wird, das nicht hinbekommen, wie soll es dann ein Fanprojekt schaffen, das maximal 150000 Euro im Jahr bekommt und bald nicht einmal mehr drei Mitarbeitende hat? Das kann gar nicht funktionieren. Da sollte sich der Fußball und der Staat einmal hinterfragen, ob es nicht sinnvoll wäre, mehr Geld in pädagogische Prävention zu investieren.
FCPF: Man sagt ja immer so schön, dass der Fußball ein Abbild der Gesellschaft ist. Und hier sieht man am Beispiel Fußball einmal, was alles schiefläuft und was verändert werden muss.