FCPF: Wie sehr hat Euch dieses Urteil getroffen?
Volker: Da kann ich natürlich nur für mich reden. Mich hat es sehr getroffen. Das ist ein Angriff auf die originäre Arbeit, die wir machen. Die Täter-Opfer-Ausgleichgespräche, wobei es sich bei besagtem Vorfall im juristischen Sinne nicht darum handelt, sind ein Teil unserer Arbeit. Beispielsweise sorgen wir im Normalfall dafür, dass sich Fans nach einer Schlägerei an einen Tisch setzen und Konflikte außergerichtlich regeln.
FCPF: Wie oft hast Du in Deiner Tätigkeit als Sozialarbeiter ein derartiges Vorgehen der Justiz erlebt?
Volker: Bei mir ist es nicht das erste mal. Ich habe schon fünfmal eine ähnliche Situation erlebt, aber es ging noch nie so weit. Es ist immer mit der polizeilichen und spätestens mit der richterlichen Vernehmung geendet. Bezogen auf die Arbeit im Fanprojekt ist das Problem, dass es auf solchen Ebenen keine schriftlichen Vereinbarungen zwischen uns, der Stadt und der Polizei gibt.
FCPF: Welches Gefühl hinterlässt es bei Dir, wenn Du in Deiner Funktion als Sozialarbeiter eigentlich Kultur schaffen, Menschen zusammenbringen und Teilhabe ermöglichen willst und dann derartige Repressionen erfährst?
Volker: Für mich hatte es sehr große Auswirkungen. Zum ersten mal in meiner beruflichen Tätigkeit als Sozialarbeiter habe ich mich krankgemeldet, weil ich gemerkt habe, dass ich das alles nicht mehr hinbekomme. Ich habe nachts auf der Terrasse gesessen und habe darüber nachgedacht, welche Konsequenzen ich persönlich daraus ziehen muss. Vorbestraft zu sein ist nicht schön! Aber wenn ich deswegen wirklich meine Arbeit niederlege, könnte man interpretieren, dass ich eine gewisse Schuld an den Vorfällen habe.
FCPF: Wie meinst Du das?
Volker: Wenn ich in der Situation, in der wir uns befinden sagen würde, dass ich aufhöre, könnte das die Justiz für sich nutzen. Dann könnte argumentiert werden, dass ich mir selbst eingestehe irgendwo zu weit gegangen zu sein und dass mich jetzt das schlechte Gewissen packt. Und das wollte ich nicht, weil ich nicht glaube, dass es der richtige Weg ist. Nichtsdestotrotz haben die anderen beiden Kolleg:innen gekündigt.
FCPF: Wie hat sich die Arbeitssituation konkret verändert?
Volker: Das wichtigste ist, dass für die Ultras schon weit vor dem Verfahren klar war, dass wir als Fanprojekt bis auf weiteres nicht in Bussen mit zu Auswärtsspielen fahren. Früher haben wir drei (Mitarbeitende des Fanprojekts, d. Red.) immer versucht, dass jeder Bus der Ultras mit einer Person von uns besetzt ist. Es geht nicht darum, dass uns die Ultras jetzt nicht mehr vertrauen. Vielmehr wollen sie uns schützen. Wir könnten theoretisch bei jedem Auswärtsspiel in eine Situation kommen, die justiziabel ist.
Die zweite Konsequenz ist, dass wir die Kommunikation mit der Polizei bis vor kurzem komplett eingestellt hatten. Dazu zählt auch, dass wir nicht mehr mit der Polizeibehörde, die beispielsweise für Fanmärsche oder Aufenthaltsverbote zuständig ist, kommuniziert haben. Und das hat natürlich über die 1,5 Jahre negative Konsequenzen für alle Beteiligten mit sich gebracht. Beispielsweise wurde von uns kein Fanmarsch mehr angemeldet. Damit hatte die Polizei in Karlsruhe keine Ahnung, wo sich die Fans in der Stadt treffen. Das war für die Sicherheitssituation in der Stadt ein Fiasko. Eigentlich ist dadurch allen klar geworden, dass unsere Nicht-Kommunikation allen schadet.
Die nächste Konsequenz, die meine Kolleg:innen gezogen haben, war dass sie nicht mehr in den Block gegangen sind. Das heißt, man weiß nicht mehr, was im Block passiert. Ich habe mich nach einem Jahr dazu entschieden, wieder in den Block zu gehen, weil ich mich gefragt habe, was sonst überhaupt noch von unserer Arbeit übrig ist. Wenn ich nicht mehr in den Block gehe, weil ich immer ein potenzieller Zeuge für Straftaten sein kann, können wir die Projekte direkt einstellen. Wenn der Staat uns nicht schützt, dann lass uns die Projekte zumachen! Dann können die DFL und der DFB die ca. 8 Millionen Euro, die die Fanprojekte bundesweit dem Fußball kosten in Repression, wie beispielsweise Polizei oder verdeckte Ermittler:innen stecken. Wenn man will, dass junge Menschen als einen Teil ihrer Sozialisation und ihres Erwachsenwerdens auch strafbare Handlungen machen können und wir sie dabei pädagogisch begleiten sollen, muss man uns auch schützen. Meine originäre Aufgabe ist aus meiner Sicht, dass ich in der Szene dabei bin und spüren und erleben muss, was da passiert. Deswegen bin ich seit Januar 2024 wieder im Block. In der Hoffnung, dass ich kein bei Straftaten kein potenzieller Zeuge bin. Aber ausschließen kann man das nicht.
Darüber hinaus sind wir in Karlsruhe ein Teil vom „örtlichen Ausschuß Sport und Sicherheit“. Dort waren wir im letzten Jahr auch nicht anwesend. Das hat auf der politischen Ebene dann auch ein paar Schwierigkeiten gegeben. Wir wurden von unserem Bürgermeister dazu aufgefordert, die Kommunikation wieder aufzubauen. Das ist eigentlich eine Dienstanweisung.
FCPF: Habt ihr es gemacht?
Volker: Wir haben uns dazu entschieden, schrittweise die Kommunikation wieder aufzunehmen. Zunächst haben wir mit dem Oberbürgermeister, mit dem Sozialbürgermeister und unserem Trägerchef verschiedene Systeme entwickelt. Für uns war klar, dass wir auf jeden Fall nicht so weitermachen wie bisher. Seit vier Wochen nehmen wir wieder an Besprechungen teil. Dazu zählen auch Sicherheitsbesprechungen vom KSC. Auch denen sind wir vorher ferngeblieben, weil die Polizei teilgenommen hat. Aber um wieder eine vernünftige Nachbesprechung der Sicherheitssituation bei Auswärtsspielen gewährleisten zu können, mussten wir die Kommunikation wieder aufnehmen. Im Normalfall nehmen da nur wir und der Sicherheitsbeauftragte des KSC teil. Ohne uns kann niemand darstellen, wie Auswärtsspiele gelaufen sind.
FCPF: War das der einzige Grund, warum ihr eure Arbeit wieder aufgenommen habt?
Volker: Am Ende ist der Bürgermeister unser Arbeitgeber. Wir sind ein städtischer e.V., der zu 50 % von der DFL, 25% vom Land Baden–Württemberg und zu 25 % von der Stadt Karlsruhe finanziert wird. Wir sind da in einem Konflikt, weil der Prozess so lange dauert. Ich weiß nicht, welche Folgen wir zu befürchten hätten, wenn wir unserer Arbeit bis zum Ende der Verhandlungen nicht mehr voll aufnehmen würden. Ich glaube nicht, dass am 15.10. die letzte Verhandlung sein wird. Selbst wenn wir freigesprochen werden, wird die Staatsanwaltschaft vermutlich auch keine Ruhe geben. Und für uns gilt, dass wir auch Widerspruch einlegen werden, wenn man sich dazu entscheidet mit den Tagessätzen nach unten zu gehen. Wir wollen einen Freispruch. Das heißt, es kann noch eine Weile gehen. Trotzdem wollten wir wieder Kommunikation aufnehmen, weil es nicht ewig so weitergehen kann.
FCPF: Du hast ja bereits angesprochen, dass Deine beiden Kolleg:innen gekündigt haben. Welche Perspektiven hat das Fanprojekt überhaupt?
Volker: Eigentlich befinden wir uns in einem Fiasko. Als neue:r Mitarbeiter:in brauchst du in diesem Berufsfeld immer eine gewisse Zeit, bis du die Szene kennenlernst. Die Mitarbeitenden vorher haben über 10-15 Jahre hier gearbeitet und jeweils ungefähr zwei Jahre gebraucht, bis sie das nötige Standing in der Szene hatten. Wir bekommen ab Ende des Jahres zwei neue Mitarbeitende. Das heißt für mich, dass ich bei jedem Spiel die neuen Kolleg:innen einarbeiten muss und mich nicht richtig auf meine eigentliche Arbeit konzentrieren kann.
Wenn die beiden Kolleg:innen hier im Fanprojekt weg sind, dann bin ich auch der einzige Beschuldigte aus dem Fanprojekt. Die anderen bleiben natürlich auch Teil des Verfahrens als Privatpersonen. Aber vorher hatten wir immerhin noch den Austausch und haben es zusammen ausgehalten. Damit geht es mir nicht gut. Auch mit den Entscheidungen der Kolleg:innen. Ich verstehe ihren Schritt, aber wir verlieren wertvolle Personen.
FCPF: In einem Statement von Philipp Reschke, Mitglied der Vorstands bei Eintracht Frankfurt, war zu vernehmen, dass durch das Vorgehen der Justiz die Arbeit aller Fanprojekte in Frage gestellt wird.
Volker: Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen, dass es generell um die soziale Arbeit geht. Deswegen bin ich auch Mitglied im Bündnis Zeugnisverweigerungsrecht in der sozialen Arbeit. Ich glaube, im sozialen Bereich müssen Angestellte andauernd mit einem solchen Vorgehen der Justiz rechnen. Es interessiert nur niemanden. Natürlich haben wir als Fanprojekt auch eine besondere Öffentlichkeitswirksamkeit, was auch durch die Solidaritätsbekundungen deutlich wurde. Man muss sich ja auch vor Augen führen, dass es sich hierbei nicht um unsere Kolleg:innen handelt, sondern um das Klientel, für das die Kolleg:innen da sind. Da finde ich es schon bezeichnend, dass die Fußballfans sich klar positioniert haben. Das hat uns gefreut und gutgetan.