Andreas Rettig verkörpert klare Positionen zu vielen Themen im Fußball. Auch zur
bevorstehenden WM in Katar vertritt der Fußballfunktionär, der für Bayer Leverkusen,
den SC Freiburg, den 1.FC Köln, den FC Augsburg, die DFL, den FC St. Pauli und
Viktoria Köln tätig war, eine eindeutige Haltung. Im Interview mit uns spricht er über den Vergabeprozess, den Umgang mit dieser WM und wie es nach dem Ereignis im Winter weitergehen muss.
Das Interview führte Tobias Hügerich
FC PlayFair!: Wir wollen erst einmal ganz allgemein anfangen. Welche gesellschaftliche
Verantwortung hat für Sie der Fußball?
Andreas Rettig: Fußball ist identitätsstiftend. Fußball soll Orientierung geben.
Beispielsweise, was das Sozialverhalten oder Fair Play angeht. Und Fußball ist
Gemeinschaft. Aus dieser Bedeutung heraus ist Fußball der viel zitierte Kitt der
Gesellschaft.
FC PlayFair!: Wenn wir uns jetzt das Land Katar anschauen und es mit Ihren eben
getätigten Aussagen vergleichen. Wie viele Ähnlichkeiten und wie viele Unterschiede
gibt es?
Andreas Rettig: Erstmal muss man sagen, dass eine Branche wie der Fußball, die durch und mit der Öffentlichkeit ihr Geld verdient, egal ob national oder international, diese genannte gesellschaftliche Akzeptanz braucht. Deshalb ist auch die Erwartungshaltung nicht nur bei mir, sondern auch bei allen eine höhere. Katar ist hinsichtlich dieser WM der absolute Tiefpunkt der Turbokommerzialisierung. Hier wurden, für jeden erkennbar, die Werte des Sportes verkauft. In Katar wird nichts von dem verkörpert, was ich eben gesagt habe.
FC PlayFair!: Sie haben ja in Talkshows schon angekündigt, dass Sie mit Ausnahme
der deutschen Spiele, die WM nicht verfolgen werden. Was werden Sie stattdessen
machen?
Andreas Rettig: Zum einen habe ich jetzt tatsächlich entschieden, dass ich auch auf
eines der deutschen Spiele verzichten werde. Gemeinsam mit meiner Frau und unseren
Freunden erstelle ich gerade unseren eigenen WM-Plan. Grundsätzlich ist es natürlich
so, dass der Verstand sagt, dass die Glotze ganz ausbleiben soll. Ich werde
wahrscheinlich dann doch beim ein oder anderen Deutschlandspiel schwach werden.
Da wird die Leidenschaft größer sein als die Vernunft. Ganz konkret werde ich aber in
die Kneipen gehen, die den Slogan „Kein Katar in meiner Kneipe“ umsetzen. Dort treffen
wir uns mit Freunden, schauen alte Spiele an, spielen Karten. Ich bin leidenschaftlicher
Kartenspieler. Dann werden wir aus Solidarität dort mehr Umsatz machen als sonst.
FC PlayFair!: Was wollen Sie darüber hinaus durch diese Aktion erreichen?
Andreas Rettig: Auf die erste Veranstaltung freue ich mich besonders. Die ist am 22.
November. Also kurz nach Eröffnung der WM. In einer bekannten Kölner Kneipe, der
Lotta. Da wird es Lesungen und Aufklärungen geben. Das ist ein Nebenprodukt dieser
Aktion, neben der harten Währung der Einschaltquote, die hoffentlich in den Keller
rauscht. Es ist wichtig, Botschaften zu transportieren und Dinge zu erklären. Was das
Alternativprogramm angeht ist es so, dass die ganzen Kommerzanstoßzeiten, so
bezeichne ich sie mal, um elf und um 14 Uhr, sowieso nicht zu Änderung meines
Tagesablaufes beitragen.
In erster Linie geht es darum, durch eine dunkle Glotze die Einschaltquote in den Keller
zu bringen und über diesen Weg tatsächlich auch Druck auf Sponsoren auszuüben.
Denn wenn die harte Währung, die Einschaltquote, erkennen lässt, dass hier keine
gesellschaftliche Verankerung mehr ist und das nicht mehr erwünscht ist, wird es
negativ auf Sponsoren und wiederum auf die FIFA abstrahlen.