Andreas Rettig über die WM in Katar

FC PlayFair!: Kann man Ihrer Meinung nach der FIFA überhaupt vermitteln, dass sie
gerade einen Großteil ihrer Basis verliert?

Andreas Rettig: Ich denke die FIFA lebt in ihrer eigenen Blase. Man erkennt das auch.
Ich dachte ja, dass wir nach Sepp Blatter am Tiefpunkt sind. Aber um mal Rudi Völlers
Worte zu nutzen: „Wir sind am tiefsten Tiefpunkt.“ Die Funktionäre leben in ihrer
eigenen Welt und ich glaube auch nicht, dass sie ein ernsthaftes Interesse daran haben,
zu erfahren, was eigentlich der allgemeine Fußballfan möchte. Sie sind durch ihre
eigenen Interessen getrieben und das spürt man bei fast jeder Entscheidung. Dass Herr
Infantino noch als sichtbares Zeichen seinen Wohnsitz aus der Schweiz nach Doha
verlegt spricht Bände.

FC PlayFair!: Glauben Sie, der FIFA ist egal, welche Message sie mit so einer WM
sendet?

Andreas Rettig: Ich denke nicht, dass die FIFA in erster Linie darauf aus ist,
Sympathiepunkte bei der Fußballgemeinde zu bekommen. Es geht vor allem um die
harte Währung der Erlöse. Die FIFA sendet hier ein fatales Zeichen. Das kann man auf
einen einfachen Nenner bringen: „Mit Geld kann man alles kaufen.“

FC PlayFair!: Man kann nur hoffen, dass so eine WM nie wieder stattfindet und wir
wirklich den tiefsten Tiefpunkt erreicht haben. Was muss sich konkret verändern, dass
so etwas wirklich nicht noch einmal passiert?

Andreas Rettig: Wir haben ja Statuten, wir haben Vorgaben, wir haben Satzungen. Auch die FIFA Regularien lesen sich auf dem Papier wunderbar. Und dennoch hat es dazu
geführt, dass wir jetzt eine Winter WM in Katar haben. Deshalb sieht man, dass es nicht
an den Konzepten, an den Vorgaben oder an den Spielregeln liegt, sondern an den
handelnden Personen. Es steht und fällt immer im Leben, egal in welcher
Organisationsstruktur man sich befindet, mit der Führung. Wenn Sie jemanden an der
Spitze haben, der mit Haltung nichts anfangen kann und Eigeninteressen über
Fußballinteressen in der Gesamtheit stellt, dann wird das zukünftig nicht verändern. Das
heißt, dass es am Ende entscheidend ist, wie haltungsstark die Entscheider sind. Von
denen die aktuell in der Verantwortung sind, wissen wir es ja leider.

FC PlayFair!: Für wie realistisch halten sie es, dass Entscheider, die anders handeln,
einmal an die Macht kommen?

Andreas Rettig: Das ist ein Prozess, der eingeleitet wurde. Nicht zuletzt durch die
norwegische Verbandspräsidentin Lise Klaveness, der ich ausdrücklich ein großes
Kompliment machen möchte. Bei einem FIFA-Kongress diesen Mut aufzubringen,
tatsächlich Tacheles zu reden, das war großartig. Das muss man einfach sagen. Man
hat im Nachgang dieses Auftritts gemerkt, dass nicht nur DFB-Präsident Neuendorf die
Nähe gesucht hat, sondern auch andere Nationen. Das kann der Beginn des Prozesses
einer Erneuerung gewesen sein, indem sich hier wirklich haltungsstarke Verbände
zusammentun. Aber wir dürfen auch nicht blauäugig sein. Wenn wir die über 200
Mitgliedsstaaten der FIFA sehen, dann weiß ich nicht, wie viele für China oder Saudi-
Arabien stimmen würden, wenn morgen eine Abstimmung wäre. Auch das gehört zur
Wahrheit. Mit unserem Demokratieverständnis werden wir zwar in Europa gehört,
jedoch wissen wir mittlerweile auch, wie es anderswo aussieht, wenn wir uns die
Aktivitäten in dieser Welt anschauen.

FC PlayFair!: Haben Sie abschließend im Bezug zur WM noch eine Botschaft an die
Fußballfans?

Andreas Rettig: Ich möchte denen danken, die sich hier seit Wochen und Monaten ins
Zeug gelegt haben. Denen, die hier die Stimme erheben und Aktivitäten durchgeführt
haben, um ihren Unmut zu äußern. Das ist letztendlich auch das, was den Fußball
ausmacht. Das positive Zeichen ist, dass diese Gemeinschaft lebt. Und als letztes ist es
für mich positiv wertzuschätzen, in welchem freiheitlich, demokratisch offener Ordnung
wir in unserem Land leben. Das sollten wir jeden Tag zu schätzen wissen und ich hoffe
ganz einfach, dass dieser Protest auch Wirkung zeigt.

FC PlayFair!: Das ist doch ein schönes Schlusswort. Vielen herzlichen Dank Herr Rettig!