Andreas Rettig über die WM in Katar

FC PlayFair!: Eine Woche vor Start der WM gehen wir noch einmal ganz zum Anfang,
zum Vergabeprozess, zurück. Es ist immer so ein bisschen undurchsichtig, was man
konkret Katar, der FIFA und dem DFB vorwerfen kann. Welcher Partei werfen Sie was
vor?

Andreas Rettig: Fangen wir mal mit dem übelsten Protagonisten, der FIFA, an. Das
Grundproblem der FIFA ist meiner Meinung nach relativ einfach zusammenzufassen. Es
geht nicht um Entwicklung des Fußballs, jedenfalls nicht derer, die an der Spitze sind
und nicht „For the Good of the Game“. Es geht um Machterhalt und Kohle. Nur so ist der
Vergabeprozess zu erklären. Es gibt ja immer zwei Protagonisten bei einem
schmutzigen Deal. Der Eine, der bescheißt und der Andere, der sich bescheißen lässt.
Hier ist in erster Linie der Vergabeprozess der Kritikpunkt. Man muss sich vorstellen,
dass im Jahre 2010 von 22 FIFA-Exekutivkomitee-Mitgliedern entschieden wurde, eine
Sommer WM nach Katar zu vergeben, obwohl man wusste, dass es dort bis zu 50 Grad
heiß wird. Übrigens wurden davor schon zwei Mitglieder vor der Vergabe aus dem
Verkehr gezogen, weil sie nachweislich korrupt waren und Frauen wurden nicht mit in
den Entscheidungsprozess einbezogen. Offenbar hat man ihnen so eine weitreichende
Entscheidung nicht zugetraut. Das heißt, man wusste bereits bei der Vergabe, dass es
ausgeschlossen ist, bei diesen Temperaturen spielen zu können.

Außerdem hat Katar nachweisbar die schlechteste Bewerbung aller fünf Bewerber
abgegeben. Als die Inspektoren vor Ort waren, gab es kein annähernd taugliches
Stadion in Katar. Ich weiß gar nicht, was die da inspiziert haben wollen. Die Inspektion
muss auch schnell beendet gewesen sein, wenn man die geographischen Ausmaße des
Landes kennt. Auch das ist ein Punkt, der zu kritisieren ist. Und Korruption schwebt ja
über allem. Das heißt, es ist erkennbar gewesen, dass es hier nicht um die Entwicklung
des Fußballs geht. Es war erkennbar, dass hier kein fairer Vergabeprozess nach
nachweisbaren und objektiven Kriterien durchgeführt wurde. Hier wurde einfach
beschissen. Der DFB, der nächste Protagonist, hat sich meiner Meinung nach nicht klar
genug gegen Katar positioniert. Das ist die Kernkritik. Aber auch das verwundert nicht,
wenn man weiß, mit welcher strategischen Meisterleistung die Katarer das Ganze
vorbereitet haben. Denn auch eine Spur des Sommermärchens führt ja nach Katar. Herr Bin Hammam lässt grüßen. Der DFB war hier nicht besonders laut mit seiner Kritik.
Warum wohl?

FC PlayFair!: Was genau hätte Ihrer Meinung nach der DFB machen müssen?

Andreas Rettig: Der DFB hätte hier seinen Unmut, seine klare Positionierung, dass eine
WM im Sommer in Katar nicht stattfinden kann, äußern müssen. Im Übrigen gab es ja
auch schon klare Signale von verbandspolitischer Seite. Man hat damals gesagt, dass
der DFB die Bewerbung von Australien unterstützen sollte. FIFA Exekutivkomitee-
Mitglied Beckenbauer, der stimmberechtigt war, sollte die Stimme für Australien
abgeben. Im ersten Wahlgang hat Australien eine Stimme bekommen. Den vierten
Wahlgang hat dann Katar gewonnen. Vor einigen Jahren hat Sepp Blatter erklärt, dass
er im ersten Wahlgang für Australien gestimmt hat.

FC PlayFair!: Nun zu den Spielern. Man hat ja schon die ein oder andere Aktion
gesehen. Beispielsweise die „Human-Rights Aktion“. Sind diese Ihrer Meinung nach
zufriedenstellend und ausreichend oder erwarten Sie mehr?

Andreas Rettig: Ich finde, man muss versuchen, fair mit den Spielern umzugehen. Zum einen ist es das Thema „Human Rights“, das bei dieser Aktion vermarktet wurde. So muss ich es leider sagen. Es war keine kluge Idee, das so zu transportieren. Es war ein ehrenwerter und begrüßenswerter Gedanke, dass man sich hier positionieren wollte.
Nicht nur bei mir, sondern auch bei vielen anderen, ist der Schuss deshalb nach hinten
losgegangen, weil es dann zu sehr vermarktet wurde. Das hat man direkt gespürt. Und
wenn letztlich der Eindruck entsteht, dass es nur für die Galerie und nicht ehrlich
gemeint ist, dann kommt so etwas nicht gut an. Das ist ärgerlich, weil es im Grunde eine
positiv gemeinte Sache war. Bei den Spielern muss man differenzieren. Von einem
Spieler, der sich über das ganze Jahr auf Social Media vermarktet und damit auch seine
Fußballtätigkeit kapitalisiert, erwarte ich ganz klar, dass er sich dann auch in solchen
Fragen zu Wort meldet und sich öffentlich zeigt und sich nicht wegduckt. Wenn jemand
aber ohnehin derjenige ist, der sagt, ich möchte mich im positiven Sinne nicht
vermarkten, dann gestatte ich ihm auch eher einmal etwas zurückhaltende Aktivitäten in
solchen Fragen. Aber in erster Linie geht es mir hier nicht um die Spieler. In erster Linie
ist die Führung eines Unternehmens und die Führung eines Verbandes gefragt. Ich will
das mal an einem Beispiel aus der Wirtschaft erklären. Ich würde ja auch nicht, wenn
ich bei Daimler Haltungsfragen und politischen Themen analysiere, den
Fließbandarbeiter befragen. Sondern ich würde an Herrn Källenius, den CEO
herantreten. Deshalb finde ich, dass wir nicht ungerecht werden dürfen.